Einmal Ohren spitzen, bitte!

Sound und Musik im Film

 

Film – davon hast du bestimmt schon mal gehört – ist ein sogenanntes audiovisuelles Medium, womit ausgedrückt ist, dass zwei Sinne angesprochen werden: Der Sehsinn und der Hörsinn. Christian Metz, ein französischer Filmtheoretiker, hat beim Film fünf Informationskanäle unterschieden: „(1) das visuelle Bild; (2) Schrift und andere Grafiken; (3) Dialog; (4) Musik; (5) Geräusche (Toneffekte).“ Ist das nicht eigentlich merkwürdig, dass drei dieser Kanäle den Hörsinn betreffen, und wir uns doch im Kino meistens auf das Sehen konzentrieren? Wie wichtig Musik und Toneffekte sind, fällt uns aber spätestens dann auf, wenn aufgrund einer technischen Panne der Ton plötzlich fehlt: Selbst wenn Untertitel den Dialog wiedergeben, die Stimmung ist weg, die visuellen Effekte wirken nicht mehr - oder nur noch lächerlich.

Filmmusik

Wenn du am 6. Spinxx-Kritikergipfel zum Thema „Ohrenflimmern“ teilgenommen hast, dann weißt du bestimmt schon einiges über Musik und Sound im Film, zum Beispiel aus dem anschaulichen Vortrag des Medienreferenten Stefan Stiletto (Link). Dort kannst du nachlesen, wie das doch gleich mit dem Unterschied zwischen ‚diegetischer’ und ‚extra-diegetischer’ Filmmusik war, was man unter ‚Mickey-Mousing’ und was unter der Leitmotivtechnik versteht. Diese beiden Techniken übrigens waren wichtiger Bestandteil der klassischen Filmmusik (‚classical score’), die sich durch ein hohes Maß von Übereinstimmung zwischen Musik und Filmgeschehen auszeichnete sowie der Unterordnung der Musik, die unaufdringlich sein und die Aufmerksamkeit weder vom Geschehen noch von den Dialogen abziehen sollte.

Zwei neuere Entwicklungen aber zeigen, dass diese ‚Unaufdringlichkeit’ nur eine Möglichkeit unter anderen ist: ‚Postmodern scoring’ und ‚pop scoring’ (‚scoring’ leitet sich von dem englischen Begriff für Partitur ab). Mit ‚pop scoring’ wird der Einsatz von bekannten Songs im extra - diegetischen Soundtrack des Films bezeichnet, auch in diesem Fall dringt die Filmmusik den Zuschauern stark ins Bewusstsein; Aspekte wie der Liedtext oder die Bedeutung der Musikstars können zusätzliche Bedeutungen in den Film tragen. Für die beiden beschriebenen Kompositionsstile müssten dir etliche Filmbeispiele einfallen. Wo würdest du zum Beispiel HARRY POTTER, FRONTALKNUTESCHEN, HERR DER RINGE und TWILIGHT einordnen?

Das sogenannte ,postmodern scoring’ wird dir wahrscheinlich nicht bekannt sein, denn es findet sich eher bei besonders anspruchsvollen Filmen. Es bezeichnet einen neuen und bewussten Gebrauch von Musik, bei welchem diese dem visuellen Geschehen nicht mehr nur untergeordnet wird, sondern verschiedene Varianten der Beziehung zwischen Musik und Bild durchgespielt werden. (Versuch dich beispielsweise daran zu erinnern, was die ‚kontrapunktische’ Musik war…welche Wirkung könnte sie auslösen?). Wenn du schon sechzehn bist, kannst du dir als Beispiele die Filme DIE VERACHTUNG und CLOCKWORK ORANGE ansehen – inwiefern erscheint dir der Musikeinsatz sehr ungewöhnlich?

Interessant ist aber nicht nur, welche Typen von Filmmusik es gibt, sondern vor allem, welche Funktionen Filmmusik haben kann:

  • Filmmusik illustriert (unterstreicht synchron Bewegungen, stilisiert musikalisch reale Geräusche oder repräsentiert Räume).“

  • Filmmusik drückt psychische Erlebnisse von Figuren aus (z.B. traurige Erinnerungen, positive Erwartungen, versteckte Phantasien).“

  • Filmmusik steuert die Wahrnehmung des Zuschauers (erzeugt z.B. Spannung, sichert Kontinuität der Handlung).“

  • Filmmusik kommentiert die Filmhandlung (sei es polarisierend, sei es kontrapunktisch).“

Denk nochmal an die Beispiele des schon erwähnten Vortrags; für jede Funktion findest du eine passende Szene.

Dialoge

Allerdings stellt die Musik ja nur einen unserer drei auditiven ‚Informationskanäle’ dar. Auf Dialoge achtest du normalerweise bestimmt sowieso – aber hast du auch schon einmal darüber nachgedacht, in welchen unterschiedlichen Formen Gesprochenes im Film auftreten kann? Dialoge fallen dir bestimmt als erstes ein, gefolgt von inneren und äußeren Monologen. Und manchmal spricht die Stimme einer der Hauptfiguren gar nicht zu sich selbst oder einer anderen Figur, sondern zu uns, den Zuschauern! Welche Fragen schießen dir dabei durch den Kopf? Und warum erscheint es uns oft gar nicht so ungewöhnlich, dass wir von manchen Erzählerstimmen überhaupt nicht erfahren, zu wem sie gehören? Aus welchem anderen Medium kennst du diese Technik?

Toneffekte

Auch die Bedeutung von Toneffekten solltest du nicht unterschätzen – sie zeichnen sich durch den Aufbau eines „akustischen Umfeldes“ aus. Der Ton erschafft Raumatmosphäre: Stimmengewirr, Klappern von Geschirr, leise Musik – wir sind in einem Restaurant. Geräusche gehören „gewissermaßen zur Realität der bildhaft vorgestellten Wirklichkeit und vervollständigen insofern oft nur die visuell übermittelten Informationen“, schreibt Werner Faulstich, aber der Ausdruck ‚vervollständigen’ wird der Leistung des Sounddesigns nicht gerecht. Oft genug kommen visuelle Effekte ohne Toneffekte nicht zur Geltung – stellt euch nur mal eine Explosion ohne ohrenbetäubenden Lärm vor, eine Schlägerei ohne zusätzliche Schlaggeräusche, ein Gruselfilm ohne knarrende Türen, schlurfende Schritte auf dem Flur und ein unheimliches Röcheln aus dem Keller - oder ein Lichtschwerterkampf in STAR WARS ohne das unverwechselbare Brummen! Unvorstellbar öde.

Und jetzt?

Du hast also einige neue Fachbegriffe gelernt und ein paar Anregungen dafür erhalten, worauf deine Ohren sich beim nächsten Filmvergnügen konzentrieren könnten. Vor einem wichtigen Problem stehst du aber noch immer: Wann, bitte, sind denn Musik und Sound eines Filmes gut? Das aber ist eine Frage, auf die es keine allgemeingültige Antwort gibt. Individuelle Antworten darauf zu suchen, eben dies ist die Aufgabe von so gewieften Kritikern wie dir. Klar, dass die Klärung dieses Problems auch von deinen Vorlieben abhängt – und nicht zuletzt vom Film, um den es geht. Denn je nach Film kann es mal genau das Richtige sein, die spannungssteigernde Musik vor lauter Mitfiebern kaum wahrzunehmen, oder es ist perfekt, wie sich die Musik in den Vordergrund spielt und zu verschiedenen Fragen anregt.

Tipps

Du willst dich weiter mit diesem Thema auseinandersetzen und dein kritisches Gehör schulen? Dann hier noch ein paar Tipps für dich:

Tipp Nummer 1:

Wenn du dir das nächste Mal einen tollen Film auf DVD ansiehst, schau doch mal nach, ob es zu dem Film auch einen Audiokommentar, ein Making Of oder weitere Extras gibt. Manchmal sind diese ganz schön interessant und man erfährt eine Menge über den Produktionsprozess eines Films, vielleicht sogar etwas über den Musik- oder Soundeinsatz. Im Audiokommentar zum Film DIE DREI ??? – DAS GEHEIMNIS DER GEISTERINSEL z.B. wird berichtet, wie wichtig der Ton in jener Szene ist, in welcher die Detektive in der Grabkammer eingeschlossen sind – eigentlich nämlich bestehen die ‚Steine’ dieser Szene aus Holz, und würde man beim Klopfen das Holzgeräusch hören, wäre die Illusion sofort dahin. Und auf der Bonus Disc von HARRY POTTER UND DER ORDEN DES PHÖNIX findet man (unter anderem) den Vergleich von einer Szene mit und ohne Sound – der Unterschied ist beeindruckend!

Tipp Nummer 2:

Hast du auch einen Lieblingsfilm, den du dir gar nicht oft genug ansehen kannst, den du im Grunde schon in- und auswendig kennst? Dann brauchst du ja bei der nächsten Popcorn-Wohlfühlsession auf dem Wohnzimmersofa nicht mehr auf die Handlung zu achten, sondern kannst dich ganz aufs Hinhören konzentrieren. Gibt es musikalische Themen, die wiederkehren? Gibt es Verbindungen von Musik und Filmhandlung? Charakteristische Geräusche, die für die Atmosphäre wichtig sind? Was passiert, wenn du dir einige Szenen ganz ohne Ton anschaust?

Tipp Nummer 3:

Informiere dich über Filme, die für ihre Musik oder ihr Sounddesign berühmt geworden sind. (Dein/e Redaktionsleiter/in kann dir bestimmt dabei helfen). Was ist dein Eindruck nach dem ersten Sehen? Und welche neuen Eindrücke gewinnst du, wenn du dir etwas über die jeweilige Filmmusik oder das jeweilige Sounddesign anliest und den Film danach noch einmal siehst?

Viel Spaß beim Filmehören!

Natália Wiedmann, Theater-Film- und Fernsehwissenschaftlerin aus Köln, Redaktionsleitung Spinxx Köln

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