Gespräch mit einem Zeitzeugen

Langsam aber sicher kommen drei Schulklassen in der Alten Feuerwache an, die sich gerade in einer größeren Gruppe den Film „Am Ende kommen Touristen“ angesehen haben. In diesem Film geht es um Sven, einen jungen Deutschen, der in der Begegnungsstätte Auschwitz seinen Zivildienst leistet. Seine Hauptaufgabe ist es, sich um den KZ-Überlebenden Krzeminski zu kümmern, der Deutsche nicht allzu gerne mag. Es geht um Vergangenheitsbewältigung und darum, wie das Leben weitergeht.

Auch heute geht es für die Schüler, ihre Lehrer und Herrn Emge, einen KZ-Überlebenden, um Vergangenheitsbewältigung. Nach dem Film, der in der „See Youth“ Reihe des Kölner Kinderfilmfestes Cinepänz gezeigt wurde, lädt das JFC Medienzentrum noch zum Gespräch mit einem Zeitzeugen ein.
Herr Emge ist ein sehr zierlicher und kleiner Mann, der aber mit Mitte 80 trotzdem noch sehr fit wirkt.
„Fragen Sie, was immer Sie wissen wollen“, bittet er die Schüler direkt zu Beginn. „Egal ob es angenehme oder unangenehme Fragen sind.“ Er scheint zu wissen wie man Schülern die anfängliche Zurückhaltung nimmt. Das mag gewiss daran liegen, dass er sich zu solchen Gesprächen immer wieder bereit erklärt und außerdem im Kölner LD-Haus arbeitet.
Auf die erste Frage hin, die lautet in welchen Konzentrationslagern er war, schweigt er für einen winzigen Augenblick bevor er antwortet. In zwei Ghettos war er, Krakau und Bochnien, und später noch in den beiden KZs Großrosen und Brenitz. Angefangen hat es im Jahr 1940, da war er gerade mal 14. Drei Jahre verbrachte er im Krakauer Ghetto, dann wurde es seiner Familie dort zu gefährlich und sie flüchteten nach Bochnien, wieder in ein Ghetto. Schließlich wurden aber alle polnischen Ghettos liquidiert und er kam 1943 ohne seine Familie nach Großrosen.

In dem Licht durchfluteten Raum unter dem Dach der Alten Feuerwache kann man eine Stecknadel fallen hören, während der Pole mit leiser Stimme erzählt. Nur das Kratzen der Stifte ist zu hören, die eilig das auf Papier festhalten, was die Schüler hören. Ab und zu wird auf einigen Gesichtern das blanke Entsetzen deutlich. Zum Beispiel als es heißt, dass alle Polen ohne festen Wohnsitz ins Vernichtungslager geschickt wurden. Erstaunte Blicke werden auch getauscht als Herr Emge sagt, dass Auschwitz ja im Grunde kein richtiges Vernichtungslager gewesen sei, auch wenn es noch heute als ein solcher dargestellt wurde.
„In Vernichtungslagern hatte man keine Chance zu überleben. Nach der Ankunft kam man direkt in die Gaskammer. Doch in Auschwitz hatte man die Chance zu überleben.“
Eine Schülerin meldet sich. „Wie sah Ihr Tag im KZ aus?“ Wieder kurzes Schweigen, wie vor jeder Antwort. Dann beginnt er langsam zu erzählen: um fünf wurden sie geweckt, um sechs Uhr gab es ein Frühstück, das eigentlich keines war, und dann wurde er zur Arbeit abgeholt. Seine Aufgabe war die Hundepflege. Er musste die Zwinger säubern und das Futter aus der Küche abholen.
Ob auf die beruflichen Vorerfahrungen bei der Suche der Tätigkeiten für die Häftlinge geachtet wurde, möchte ein anderer Schüler wissen.
Das war reine Glückssache, so Herr Emge. Lediglich bei den medizinischen Tätigkeiten wurde darauf geachtet.
Man lebte von einem Tag zum nächsten, ausschließlich darauf bedacht den nächsten Morgen zu erleben. Freundschaften gab es nicht, jeder musste für sich alleine kämpfen. Ob er irgendetwas von damals in sein weiteres Leben übertragen habe? "Ja" meint er nachdenklich. Heute hat er kein Vertrauen mehr. Zu niemandem, außer seiner Frau und seinem Sohn. Und dem hat er auch beigebracht, sehr kritisch mit Freundschaften umzugehen.
Außerdem habe er noch eine kleine „Macke“. Er muss auf der Rolltreppe immer der Letzte sein, er kann es nicht ertragen, wenn jemand hinter ihm steht.

Nach eineinhalb Stunden gehen den Schülern allmählich die Fragen aus. Viele Informationen, die nun verarbeitet werden müssen. Viele Eindrücke von einem spannenden Vormittag, der niemanden kalt lässt.


Als alle anderen aufstehen bleibe ich noch für einige Augenblicke sitzen und versuche das zu verdauen, was und gerade erzählt wurde. In ein paar Jahren, sage ich mir selbst, wird es keine Zeitzeugen mehr geben. Ihre Generation stirbt langsam. Sie haben viel erlebt, mussten viel mitmachen. Und sie verdienen den Applaus, den auch Herr Emge von den Schülern bekommen hat.
Mit einer Gänsehaut wie ich sie selten zuvor hatte, verlasse schließlich auch ich den Raum.

von Redaktion Köln 1 am 16.01.2008, Format: Reportage

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