Die Schüler der Madame Anne
Die Story von einer Problemklasse in einem Pariser Vorort wurde von Ahmed Dramé, im Film Darsteller des Schülers Malik, nach einer wahren Begebenheit mitentwickelt. Nach der Meinung der meisten Lehrer des Léon Blum Gymnasium könne man dieser Klasse „nicht mehr helfen“: Sie sei ein gelangweilter, undisziplinierter und respektloser Haufen perspektivloser Jugendlicher. Doch ihre Klassenlehrerin, Madame Anne Gueguen (Ariane Ascaride) gibt der Klasse eine Chance. Sie bietet ihren Schülern – entgegen der Meinung aller anderen Lehrer – die Teilnahme an einem frankreichweit ausgeschriebenem Wettbewerb zum Schicksal von Kindern und Jugendlichen zur Zeit der Verfolgung durch die Nationalsozialisten in Europa an.
Dadurch verändert sich die Klassengemeinschaft: Die anfangs noch desinteressierten Schüler lassen sich nach und nach auf die Beschäftigung mit diesem dunklen Abschnitt europäischer Geschichte ein. In Museumsbesuchen, bei einem Zeitzeugengespräch und bei der Recherche tauchen die Schüler nicht nur tief in ihr Wettbewerbsprojekt ein, sondern öffnen sich auch untereinander.
Man kann schon am Anfang des Films ahnen, wie die Geschichte von den Schülern der Madame Anne ausgehen wird. Zuerst einmal basiert der Film erneut auf einer aus der Kontrolle geratenen „Ghettoklasse“, wie sie schon mehrfach in der Filmwelt existiert. Auch das Lehrerproblem ist bekannt: Wieder einmal gibt es nur eine einzige Lehrperson aus dem ganzen Kollegium, die mit der Klasse arbeiten kann. Da die Klasse aus verschiedensten religiösen und ethnischen Gruppen besteht, ist absehbar, dass es innerhalb der Klasse zu Auseinandersetzungen kommen muss. Genauso absehbar ist, dass sich die Klasse, um einen erfolgreichen Teambeitrag einreichen zu können, zusammenraufen muss. So kommt es, eben nicht überraschend, dass sich die Klasse (mit zwei Ausnahmen) freiwillig auf diesen Wettbewerb einlässt und Interesse an einem Thema entwickelt, mit dem viele zum ersten Mal konfrontiert werden.
Bei diesem Filmprojekt setzt die Regisseurin Marie-Castille Mention Schaar auf eine vielfältige Mischung von Berufs- und Amateurschauspielern, die größtenteils überzeugen können und trotz ihrer
Unerfahrenheit – oder vielleicht gerade deswegen? – authentisch „rüberkommen“. Dies wird besonders am Beispiel des Filmcharakters Mélanie (Noémie Merlant) deutlich, die einen Fernsehbeitrag über eine Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz sieht und sich daraufhin – nach anfänglicher Ablehnung – tatkräftig dem Klassenwettbewerb anschließt.
Sehr überzeugend wird die Rolle der Madame Anne durch Ariane Ascaride verkörpert. Mit ihrer Erfahrung und ihrem ausgeglichenen Naturell bildet sie immer wieder den Ruhepol in dem aufregenden Durcheinander in der Klasse. Dabei sieht man dann – leider allzu oft – ihr Gesicht in Großaufnahme mit weisem Lächeln, wenn ihre Schüler Fortschritte machen. Hier hätte man durchaus auch darauf vertrauen können, dass dieser Prozess des Verstehens dem Zuschauer auch ohne „visuellen Hammer“ gelingt!
Anders als ein Actionkracher setzt dieser „stille“ Film voll auf Emotion. Sowohl Trauer als auch Wut und Begeisterung sollen für den Zuschauer greifbar werden. Beim Zeitzeugeninterview mit dem „echten“ Léon Zyguel (29.1.2015 gestorben), der von seinen Erlebnissen im Konzentrationslager berichtet, wird die Betroffenheit der Schüler besonders deutlich. Die vorerst skeptischen und z.T. im Umgang untereinander rücksichtslosen Jugendlichen haben spätestens nun den Höhepunkt ihrer Wandlung zu interessierten und gefühlvollen Schülern erreicht. Betonend dazu sieht man in Großaufnahme, wie der Schülerin Camélia eine Träne über die Wange fließt.
In dieser wie auch ähnlichen Szenen trägt die Musik des Komponisten Ludovico Einaudi zur Emotionalisierung bei. Dominierend, dennoch unaufdringlich ruhig begleitet die Klavierstimme den Zuschauer durch den gesamten Film und „umfängt“ ihn gewissermaßen. Wenn man allerdings weniger für klassische Musik empfänglich ist, könnte es ebenso monoton wirken.
(15) , Gastkritik vom 26.02.2016, Format: Film
Fazit
„Die Schüler der Madame Anne“ ist ein Kinofilm, wie es ihn in letzter Zeit, in seiner Absicht, den jugendlichen Zuschauer nachdenklich nach Hause zu schicken, selten gab. Durch die gelungene Mischung von Unterhaltung und Auseinandersetzung mit einem sehr dunklen Kapitel europäischer Geschichte ist dieser, trotz der z.T. gefühlsmäßigen Überladung und der vorhersehbaren Handlung, ein Film, den man nicht missen sollte gesehen zu haben. Diese Kritik enstand im Rahmen der SchulKinoWochen NRW 2016.Weitere Informationen
- Frankreich 2014
- Regisseur/in: Marie-Castille Mention Schaar
- FSK: ab 6 Jahren
Gesamtwertung
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