Ballon

Michael Bully Herbig versucht sich zum ersten Mal an einem Thriller. Doch ob dieser auch ein Erfolg wird?

Eine neue Reise beginnt für Herbig mit „Ballon“ (2018) und einer alten Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht. Als Adaption von dem Buch „Schicksal Ballonflucht“ und als filmische Umsetzung von Disney, hat die Geschichte der Strelzyks wie sie über die Grenze fliehen schon mehrmals für Aufmerksamkeit gesorgt. Herbig will keine einfache Neuverfilmung, sondern etwas lehrreiches aus der Vergangenheit so authentisch wie möglich in heutigen Kinos zeigen. Zusammen mit den Drehbuchautoren Kit Hopkins und Tilo Röscheisen begibt sich Herbig in eine Jahre lange Recherche, um das zu ermöglichen, was wir heute auf der Leinwand sehen können. Bis ins kleinste Detail wird versucht eine authentische Veranschaulichung zu realisieren. Fahrzeuge, Häuser, Inneneinrichtungen und Keller werden dem Original nachempfunden. Selbst Glühbirnen aus der DDR kommen zum Einsatz, um das grünlich-gelbe Licht zu imitieren.

„Ballon“ bietet einen Blick in die DDR, die von 1949 bis 1990 bestand, aus der Sicht der Strelzyks und Wetzels. Die beiden Väter der Familien, Peter Strelzyk (Friedrich Mücke) und Günter Wetzel (David Kross), fassen den Entschluss, zusammen mit ihren Frauen und vier Kindern mit Hilfe eines Heißluftballons (originalgetreu nachgebaut 30m Höhe) in den Westen zu fliehen. Im Sommer 1979 ist es soweit, doch der Versuch scheitert, der Ballon saugt sich mit dem Regenwasser einer Wolke voll und stürzt inmitten von Bäumen ab. In diesem verhängnisvollen Unglück vermittelt Bully Herbig gekonnt den inneren Tumult der Familien. Eine nahe Kameraführung und ein dynamischer Schnitt wird begleitet von selten stillstehenden Bildern. Ein dumpfes Schlagen im Hintergrund wird als Puls wahrgenommen, der sich manchmal mit dem eigenen deckt. Dadurch ist es an manchen Stellen so, als würde der Puls der Familien den eigenen Puls verfolgen und antreiben, was die Spannung stark erhöht. Gesucht von der Polizei beschließen die Familien eine zweite Flucht. Sie müssen nun noch effektiver und schneller arbeiten, ehe die Regierung ihnen auf die Schliche kommt.

Obwohl man vermuten kann, dass die Flucht erfolgt, suggerieren die parallelen Handlungsstränge zwischen Stasi und den Familien unbemerkt immer wieder das Scheitern der Flucht. Mit jeder Sekunde, die sich die Flüchtenden und die Polizei näher kommen, steigt der Spannungsbogen, der es Unwissenden lange Zeit offen hält, ob die Flucht überhaupt gelingt. Unter einer Regierung wo selbst das Gespräch eines kleinen Jungen mit seiner Erzieherin im Kindergarten zur Denunziation führen kann, beklemmt einen das Gefühl einer ständigen Bedrohung. Besonders starken Eindruck hinterlassen Charaktere wie Thomas Kretschmann, der in „Ballon“ als Teil der Stasi sehr verbissen nach den Flüchtlingen sucht, 1983 aber selber aus der DDR geflüchtet ist.

Herbig bedient sich häufig visueller Sprache, wie dem Blick aus dem Hotel Fenster auf West Berlin, wo aber nur das Hotel gezeigt wird, mit der Spiegelung der Stadt im Fenster, während die Familie dahinter steht. Bilder wie diese verdeutlichen immer wieder wie eingesperrt die Familien sich fühlen müssen. Diese Konsequenz durch alle Ebenen lässt Herbigs Einstieg in ein neues Genre sehr seriös wirken. Keine der abgedrehten Albernheiten, die Filme wie „Der Schuh des Manitu“ so erfolgreich gemacht haben, sind in „Ballon“ enthalten. Herbig nimmt seine Figuren und die Geschichte ernst. So schafft er einen überzeugenden Geschichtsfilm und eine Erzählung von zwei Familien, die alles für die Freiheit riskierten. Die erfundene Liebesgeschichte stört jedoch den Sog des Films. Sie bringt die Familie zur verfrühten Flucht. Wenn sie diese nicht umgesetzt hätte, wäre sie geschnappt worden. Dadurch basiert der springende Punkt, ob die Familien ihre Freiheit erreichen oder nicht auf einer erfundenen Geschichte, in einem Film der eigentlich auf einer wahren Begebenheit basiert.

(23) , Gastkritik vom 01.04.2019, Format: Film

Fazit

Trotz allem hat mich hat der Film beeindruckt. Die Frage des Bayers in Oberfranken „Wie viele kommen denn da noch?“ erinnert mich an die Flüchtlingspolitik in unserem heutigen Deutschland. Wie gehen wir damit um, wenn Menschen für ihre Freiheit zu Flüchtlingen werden? Wir sollten uns daran erinnern, dass auch viele Deutsche vor einigen Jahren noch geflohen sind, da sie keine Zukunft mehr sahen. Ich empfehle jedem diesen Film, da er sich angemessen mit einer wichtigen Zeit auseinander setzt, von der unsere heutige Welt sehr geprägt ist. Diese Kritik entstand im Rahmen der SchulKinoWochen NRW 2019.

Weitere Informationen

  • Deutschland 2018
  • Regisseur/in: Michael Bully Herbig
  • FSK: ab 12 Jahren

Gesamtwertung

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